Schwappt die Welle über? Frankreich nach den US-Präsidentschaftswahlen

Einen Tag nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen titelte der französische Nachrichtensender LCI fragend „Donald Trump nous déteste-t-il?“. Die Sorge um die Beziehungen zum neu gewählten Präsidenten dürfte allerdings kaum größer sein als jene vor dem Populismus im eigenen Land.

Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf und die innerparteilichen Vorwahlen fielen in eine Zeit, die für Frankreich nicht einfach war. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, sowie politischen Querelen wurden von den Terroranschlägen überlagert, beginnend mit dem Attentat auf Charlie Hebdo und gefolgt von den Angriffen in Paris am 13.11.2015 und Nizza am 14.07.2016. Wie so oft ähnelten Donald Trumps Äußerungen eher dem Verhalten eines Elefanten im Porzellanladen und seine Taktlosigkeit wurde in den französischen Medien nach der Bekanntgabe der Ergebnisse erneut thematisiert. Mehrfach, sowohl im Zusammenhang mit Charlie Hebdo als auch den Anschlägen in Paris, kritisierte Trump die französischen Waffengesetze und stellte die These in den Raum, dass das Blutbad nicht so verhehrend gewesen wäre, würden mehr Franzosen Schusswaffen bei sich tragen.

Le Parisien ging gar in die Archive und zitierte ein Trump-Interview aus den späten 1980er Jahren, in dem der Unternehmer François Mitterand beleidigte und als arrogant bezeichnete. Soweit zurückzugehen mag etwas übertrieben sein und ist auf Grund der vielen Vorlagen, die Trump im Wahlkampf lieferte, auch kaum nötig. Seinem Twitter-Kommentar, dass Frankreich nicht mehr Frankreich sei, widersprach François Hollande entschieden mit einem „la France sera toujours la France“ und Manuel Valls ist nicht weniger überzeugt davon, dass „la France est toujours la France.“

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Frankreich steht nun selbst mitten im Wahlkampf. Im Mai 2017 entscheidet das Volk, wer der nächste Präsident werden soll. Dass François Hollande nach dem 9. November verkündete, dass nun eine Zeit der Unsicherheit beginne, ist sicher auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Schon vor der Entscheidung, wer als nächstes ins Weiße Haus einziehen würde, äußerte er sich besorgt: Ein Sieg Trumps könnte möglicherweise zu einem weltweiten Rechtsruck führen und die Wahlen in Frankreich beeinflussen.

Mit dieser Sorge ist der französische Präsident kaum allein. Seit Jahren stehen der Front National und allen voran Marine Le Pen in den Startlöchern, mit dem festen Ziel vor Augen, 2017 in den Élysée Palast einzuziehen. Le Pen jubelte dem Sieger nach der Wahl begeistert zu und rief aus, dass er das Unmögliche möglich gemacht habe. Die Ökonomen Holger Schmieding und Kallum Pickering stellen in einem kürzlich publizierten Beitrag das Gedankenexperiment an, dass es das Ende Europas wie wir es kennen sein würde, wenn Marine Le Pen Präsidentin Frankreichs werden würde. Sie würde möglicherweise versuchen, das Land aus der EU und dem Euro zu manövrieren. Ausgehend von den großen Ungenauigkeiten bei den Prognosen entkräften die beiden Ökonomen dieses Szenerio jedoch. Im Gegensatz zu Trump sind der Front National und Marine Le Pen keine überraschenden Aufsteiger. Außerdem zeigten die Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen von 2012, wie auch die letzten Statistiken von Europa- und Kommunalwahlen, dass die tatsächlichen Ergebnisse in Bezug auf den Front National nur um 1,9 Prozent, meist sogar weniger, von den Prognosen abweichen. Optimistisch schließen sie ihren Beitrag auf investmenteurope.net daher mit der Annahme, dass die Vorsitzende des Front National die Wahlen nicht gewinnen werde. Dennoch sollten wir die politischen  Risiken im Auge behalten.

Ein Anti-Trump Modell?

Ein Sieg des Front National und von Marie Le Pen wäre nicht nur außenpolitisch fatal und eine Katastrophe für Europa, er würde vor allem auch Risse in der französischen Gesellschaft vertiefen. In anderen Worten: Das Modell von Integration und tolerantem Nebeneinander könnte als gescheitert angesehen werden. In diesem Fall aber nicht auf Grund von mangelndem Integrationswillen, sondern weil eine Mehrheit für die Rechtspopulisten ein klares Signal dafür wäre, dass eine entscheidende Anzahl von Franzosen dieses Modell nicht wollte.

Wie die Aussagen von Donald Trump haben auch jene von Marine Le Pen das klare Ziel Angst zu machen und aus der Angst der Wähler Gewinn zu schlagen. Erfolgreich schafft es Le Pen, dass jener Anteil von Franzosen mit Migrationshintergrund, der sich integriert hat, in Vergessenheit gerät. Frankreichs Beuregeoisie fällt kaum auf, im Gegensatz zu den Schlagzeilen aus den Banlieues. Unscheinbar haben sich die Kinder und Enkel von Migranten aus den Maghreb-Staaten in die Mittel- und teilweise Oberschicht hochgearbeitet. Wie brisant ihre Situationen ist, ist ihnen mehr als bewusst und ein stilles Eingliedern und unscheinbares Nebeneinander ist daher charakteristisch für sie. Sie verkörpern das Frankreich des 21. Jahrhunderts, sprechen mehrere Sprachen und leben zwischen den Kulturen.

Der Republikaner Alain Juppé spricht in diesem Zusammenhang von der französischen „identité heureuse“, die eher eine kollektive Ambition signalisiert als einen tatsächlichen Ist-Zustand auszudrücken. Als Gegensatz zu diesem Nebeneinander, das die französische Identität ausmacht, steht Nicolas Sarkozys kürzlicher Appell, dass Franzose sei, wer Gallier als Vorfahren habe. Der Kampf um eine inklusive oder eine exklusive französische Identität hat längst begonnen und sie wird Mittelpunkt der Wahlkampfdebatten bleiben. Frankreich bleibt immer Frankreich, aber das heißt nicht, dass es sich nicht verändern darf. Zu hoffen bleibt, dass es der Mehrzahl der Wähler nicht darum geht, ihr Land „great again“ zu machen.

Judith Müller

Bild: Judith Müller.

Empfohlene Zitierweise:

Judith Müller: Schwappt die Welle über? Frankreich nach den US-Präsidentschaftswahlen. In: RUB Europadialog, 2016. URL: rub-europadialog.eu/schwappt-die-welle-ueber-frankreich-nach-den-us-praesidentschaftswahlen (01.12.2016).

 

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