Identität durch Architektur: Berliner Schloss und Sevillas Metropol Parasol

Schon ein kurzer Besuch genügt jedem, um festzustellen, dass Berlin eine von Baustellen geprägte Landschaft ist. Vom Party-Bahnhof Warschauer Straße und der gegenüberliegenden, gigantischen Shopping-Mall, über die hunderten maroden Straßen, Geh- und Radwege, die im jeden Kiez sanierungsbedürftig sind, bis hin zu dem bespotteten Flughafen Berlin-Brandenburg, dessen Betrieb 2011 hätte beginnen sollen. Jeden Tag werden Berliner und Touristen mit Lärm und Verkehrschaos konfrontiert. Der Kern dieser seit dem Mauerfall entstandenen Baustellen-Explosion ist in Berlins Mitte besonders ausgeprägt. Die Straße „Unter den Linden“, die als Ader zwischen Ost und West dienende kilometerlange Allee, ist ein gutes Beispiel dafür. Seit Jahren tauchen die Baustellen entlang dieser Promenade auf, als ob es sich um einen polymorphen Virus handeln würde. Dennoch können weder der Umbau einer neuen U-Bahn-Linie noch die Renovierungen der vielen Gebäude entlang der Allee Schatten auf den Wiederaufbau des Berliner Schlosses werfen. Genau dieses Schloss steht als Sternstunde der Zusammenarbeit zwischen Politik, Architektur und Identität in Deutschland im jungen 21. Jahrhundert.

Die Geschichte des Berliner Schlosses ist über 500 Jahre alt. 1443 fand die Grundsteinlegung für den Bau eines Palasts an der Spree statt, dessen Errichtung erst 1698 begann und 1845 seine endgültige Form bekam. Anfang des 20. Jahrhunderts diente das Schloss als Museum und war gleichzeitig Schaubühne für mehrere geschichtliche Ereignisse, darunter die Novemberrevolution von 1918 und die Proklamation der „freien sozialistischen Republik“ von Karl Liebknecht. Im zweiten Weltkrieg wurde das Schloss bei einem heftigen Luftangriff Opfer eines Brands, welcher das Gebäude nahezu vernichtete. Nach einem Beschluss des DDR-Staatschef Walter Ulbricht wurde die Schlossruine 1950 gesprengt. In den 1960er und 1970er Jahren wurden das Staatsratsgebäude und der Palast der Republik errichtet. Letzteres diente als Sitz der Volkskammer und beherbergte viele Veranstaltungsräumen, die von der Bevölkerung genutzt wurden. Kurz vor der Vereinigung Deutschlands wurde der Palast wegen einer hohen Belastung mit Asbest geschlossen, 1993 beschlossen Bund und Land die Ausschreibung eines internationalen, städtebaulichen Ideenwettbewerbes, welches ein neues Gebäude an der Stelle des  Palasts der Republik übernehmen sollte. Daraufhin entstand eine lange Diskussion zwischen der Regierung, verschiedenen Parteien und den Bürgern über ein Thema, das generell in Deutschland, aber besonders in Berlin präsent ist: die Erinnerungskultur. Das Ergebnis dieser strittigen Debatte ist bekannt: an der Stelle des Palasts wird heutzutage das Berliner Schloss wiederaufgebaut und es wird versucht, Berlins Mitte mit einem neuen Kulturzentrum attraktiver zu machen.

Warum durfte der Palast der Republik nicht zu einem kollektiven Erinnerungsort für die Vereinigung werden? Auch wenn dieses Gebäude an die SED-Regierung erinnerte, so war es auch der Ort, an dem der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland (BRD) beschlossen wurde. Dennoch liegen die Wurzeln der sogenannten „Schlossplatzdebatte“ noch tiefer, nämlich in der Frage „Was soll erinnert werden?“, welche logischerweise eine andere Angelegenheit impliziert: „Wer sind wir?“. Eins der interessantesten Pro-Schloss Argumente lautete: „Der Palast der Republik fügte als Solitärbau dem historischen Ensemble schweren Schaden hinzu. Wird er in alter Form wieder ausgebaut und mit einem Anbau erweitert, um das gähnende Loch in der Mitte Berlins zu schließen, wird das Zentrum der Stadt endgültig deformiert und zusammenhanglos, bleibt der Horror des Vakuums, den das gesprengte Schloss hinterließ“ (Förderverein Berliner Schloss e.V. 2017). Kurzum: Man soll sich an andere Zeiten erinnern, nämlich an die, in denen Deutschland noch vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg stand. Diese „goldene Epoche“ passt gut zu dem, was die heutzutage Politik als erinnerungswürdig für die Mitte Berlins bezeichnet: das Deutsche Kaiserreich. Man soll ein Gefühl der architektonischen und zeitlichen Einheit vermitteln, gerade in einer Stadt, deren Einzigartigkeit darin besteht, dass sie auf der Landkarte einen Punkt bedeutender Ereignisse des 20. Jahrhunderts bildet. Dies schien in der politischen Entscheidung keine große Rolle gespielt zu haben. Mit der Rekonstruktion dieses Barock-Schlosses rückt jetzt des Deutschen Kaiserreiches in den Vordergrund und gilt somit für die hunderttausenden Touristen und deutschen Bürger, die Berlins Mitte jährlich besuchen, als identitätsstiftende Epoche Deutschlands.

Ein teilweise ähnliches Phänomen fand in Sevilla zwischen 2005 und 2011 statt. Das Streitobjekt war die Errichtung einer hochmodernen Holzkonstruktion inmitten der historischen Altstadt. Auf dem großen, leeren Platz, wo bis 1973 eine Markthalle stand, sollte jetzt das Metropol Parasol mit seinen riesigen Proportionen (150 Meter lang, 70 Meter breit und 26 Meter hoch) das neues Wahrzeichen der Stadt werden. Die Errichtung des von Sevillanos genannten „Setas“ (Pilze) galt für viele Bürger als Kampfansage von Seiten der Regierung Andalusiens. Mit dem Aufbau des gigantischen Metropol Parasols würde man die Bedeutung des bekanntesten Symbols der Stadt, die Giralda, ein im Jahre 1196 erbautes Minarett der spätgotischen Kathedrale, in Gefahr bringen. Darüber hinaus würden die „Setas“ die römischen und altarabischen Ruinen, die man während der Bauarbeiten auf dem Platz entdeckte, in Vergessenheit geraten, auch, weil sie sich dann im dunklen Untergeschoss der Konstruktion gelandet sind. Wie im Falle des Berliner Schlosses war es auch eine Frage der Identität, welche die öffentliche Debatte um diese Holzkonstruktion antrieb. Sollte man weiter das Bild einer Stadt pflegen, die ihre wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit zur Zeit Kolumbus hatte und deren Architektur vor allem durch den starken Einfluss der Mauren bekannt ist? Oder ist es in Zeiten der Krise doch nicht sinnvoller, sich als avantgardistische Stadt als solche zu präsentieren? Solche Überlegungen sind bestimmt durch die Köpfe von vielen Sevillanos während des Aufbaus des Metropols Parasols gegangen.

Die Fälle des Berliner Schlosses und des Sevillas Metropol Parasol zeigen, inwieweit Architektur Identität stiften kann. Bei der Weiterentstehung eines abgerissenen Gebäudes oder deplatzierten historischen Ruinen können nur die Erinnerung und das Interesse helfen. Man kann nur hoffen, dass die kommenden Generationen sich für die vielfältige Geschichte solcher abgebrochene Orte weiterhin begeistern werden. Somit werden diese verschwundenen Orte wieder ins Leben gerufen.

 

Beitragsbild und Bild im Text: Pixabay. Public domain.

Bibliographie:

Förderverein Berliner Schloss e. V.  (2007): „Die Hauptargumente für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses“. In: http://berliner-schloss.de/die-schlossdebatte/pro-schloss-argumente/ (15.8.2017).

Empfohlene Zitierweise:

María González de León: Identität durch Architektur: Berliner Schloss und Sevillas Metropol Parasol. In: RUB Europadialog, 2017. URL: http://rub-europadialog.eu/identitaet-durch-architektur-berliner-schloss-und-sevillas-metropol-parasol (22.08.2017).

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