Grexit, Brexit, Euro-Exit? Griechenland und Großbritannien
9. August 2016, der erste Länderabend von RUB Europadialog. Der Saal im Blue Square ist gefüllt mit Bochumer Bürgerinnen und Bürgern, sodass es schwer fällt, einen freien Platz zu finden. Ein Zeichen dafür, wie sehr den Bochumern und Bochumerinnen europäische Themen am Herzen liegen.
Der Abend fängt mit einem Beitrag von Spyros Bakas an, der sich die Frage stellt, ob die Grexit-Gefahr noch ein aktuelles Thema in der Eurozone ist. Aufgrund politischer und sozialer Risikofaktoren könne die Kalkulation der Wahrscheinlichkeit eines Grexits nicht durch finanzielle Instrumente berechnet werden. Aus wirtschaftlicher Sicht stelle ein potenzieller Grexit keine Gefahr für die europäische Währungsunion dar. Es bliebe zu diskutieren, inwiefern die Zukunft Europas nur auf wirtschaftliche Überlegungen basieren dürfe.
Danach folgt der Vortrag von Dr. Camilo Erlichman, der einen historischen Blick auf den Brexit wirft. Dabei zeigt er, dass die britische Entscheidung für den EU-Austritt primär als eine Folge der historisch gewachsenen sozialen und wirtschaftlichen Spaltung des Vereinigten Königreichs zu betrachten ist. Die EU habe dabei vorrangig als Projektionsfläche gedient, auf die ganz unterschiedlichen Segmente der britischen Gesellschaft ihre Unzufriedenheit mit Manifestationen von wirtschaftlichem, sozialem und auch kulturellem Wandel seit den 1980er Jahren übertragen hätten. In ihrem Beitrag betont Susanne Christ schließlich die unübersichtlichen Auswirkungen des Brexits und unterstreicht, dass vielen Briten nach der Abstimmung nicht ganz klar war, was diese Entscheidung für das Land bedeutete. Immerhin habe sich fast die Hälfte der britischen Bevölkerung gegen den Austritt ausgesprochen, insbesondere diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben und sich selbst als Teil Europas verstehen. Dabei unterstrich sie, dass Migration das Hauptthema in der Kampagne der Brexit-Befürworter war und dabei unter Verwendung starker xenophobischer Stereotype Wahlkampf betrieben wurde. Zuletzt plädiert Dr. Ubaldo Villani-Lubelli dafür, den Brexit als Chance zu begreifen, um ernsthaft über die Zukunft des europäischen Integrationsprojekts nachzudenken. Dabei spricht er sich mit Nachdruck dafür aus, Europa als Wertegemeinschaft zu verstehen. In der Zukunft gelte es, das europäische Projekt durch den Ausbau supranationaler Strukturen voranzutreiben, und dabei die einzelnen Staaten dazu zu bringen, ihre politische Macht zugunsten eines gemeinsamen europäischen Wachsens schrittweise abzugeben.
Nach den vier Beiträgen stellen sich die Referenten den Fragen und Kommentaren des Publikums und es folgt eine anregende Diskussionsrunde. Das Publikum fragt beispielsweise danach, inwiefern die europäischen Verträge von den EU-Mitgliedsländern tatsächlich eingehalten würden und wie mit Vertragsbrüchen umzugehen sei. Dabei wird wiederholt betont, dass man sich eine Verpflichtung aller Seiten zur Einhaltung der gemeinsamen Vereinbarungen wünsche. Darüber hinaus wird infrage gestellt, ob es in Zukunft nicht profitabler und nachhaltiger für Griechenland sei, aus dem Euro auszutreten. Manche Bürger und Bürgerinnen schätzten dabei die Chance eines Grexits als weiterhin sehr hoch ein. Eine andere Diskussionsachse verläuft entlang der Frage über die Gründe für das Erstarken nationalistischer Bewegungen in vielen Staaten Europas und der Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise und den vielfältigen Exit-Szenarios. Auch das Problem, wie man nationalistischen Tendenzen entgegentreten könne, wird thematisiert. Schließlich entbrennt eine heiße Debatte über die Funktion der Europäischen Union und ihre Rolle bei der Lösung gegenwärtiger Probleme in Europa. Viele Bürger und Bürgerinnen sprechen sich dabei im Laufe des Abends dafür aus, Europa als ein breites Werte- und Friedensprojekt zu verstehen, das nicht nur eine wirtschaftliche Stoßrichtung besitze.
Empfohlene Zitierweise:
María González de León: Grexit, Brexit, Euro-Exit? Griechenland und Großbritannien. In: RUB Europadialog, 2016. URL: rub-europadialog.eu/grexit-brexit-euro-exit (24.08.2016).